Buchtitel
Das Ende
Von der heiteren Hoffnungslosigkeit
im Angesicht der ökologischen Katastrophe
Ammann Verlag AG 1993
schweizerischer Verlag, der seine Tätigkeit Ende Juni 2010 eingestellt hat.
Autor
Gregory Fuller
Philosoph und Schriftsteller
* 1948 in Evanston/Illionois, kam 1957 nach Deutschland
studierte in Tübingen und Marburg Philosophie, Kunstwissenschaft und Amerikanistik; promovierte mit Zur Methode einer historisch-materialistischen phänomenologischen Dialektik 1975 an der Universität Marburg;seit 1976
literarische undzahlreichewissenschaftliche Veröffentlichungen vor allem
auf dem Gebietder Ästhetik; arbeitete als Verlagsredaktor in Stuttgart
Vorbemerkung
Unsere Winterferien verbringen wir seit vielen Jahren in der zweiten Märzwoche im Engadin. Im Hotel treffen wir immer ein Ehepaar aus Augsburg mit der gleichen Angewohnheit. Abends ergeben sich gute, interessante und manchmal auch recht kontroverse Gespräche. So lernte man sich gegenseitig gut kennen und schätzen. Professor von Knorring wußte von mir, daß ich in bezug auf die Entwicklungsperspektiven der Spezies Mensch eine sehr kritische Sicht habe. Deshalb schenkte er mir im März 2019 einen schmalen Band, von dem er annahm, daß mich der Text sicher interessieren würde und ich ihn wahrscheinlich nicht kenne. Tatsächlich war mir dieser Essay, den er im antiquarischen Büchermarkt für mich gesucht hatte, völlig unbekannt. Für diese Aufmerksamkeit nochmals ein herzliches Dankeschön!
Besprechung
Gregory Fullers Essay Das Ende will nicht so recht zur Zeit passen. Es ist ein Szenario, das weder gut zur aktuellen Welle der Klimarettung noch zur frohen Osterbotschaft passen will. Aber gleichzeitig ist es eine klare Analyse zum Zustand unseres Planeten und vor allem des menschlichen Umgangs mit der Natur. Und in diesem Sinne paßt der Essay sehr wohl zur Zeit.
Fuller gelang bereits 1993 eine breitangesetzte Darlegung der meisten Entwicklungen menschlicher Erfindungskunst, die die Natur ernsthaft beschädigen. Eine Darlegung, bei der man nicht in Details ersäuft, sondern sehr wohl den Überblick behalten kann.
Für den Autor beginnt die verhängnisvolle Entwicklung nicht erst im Zeitalter der Industrialisierung. Er sieht den entscheidenden Wendepunkt schon sehr früh, nämlich im Mesolithikum (Mittelsteinzeit, ca. 9'500 – 4'500 vor unserer Zeitrechnung): «Der Mensch nahm nicht mehr von der Natur, er holte sich auf immer systematischere Weise, was er haben wollte. Der Mensch vollzog den grundlegenden Wechsel von der aneignenden zur produzierenden Lebensweise.» In den langen Zeiträumen der Entwicklung gibt es für Fuller entscheidende Elemente der Verstärkung. So verweist er auf die verheerende Entwaldung des ganzen Mittelmeerraums in der Zeit der Antike, das biblische Gebot an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen, auf den mittelalterlichen Naturphilosophen Roger Bacon, von dem die Unterwerfung der Natur ein philosophisches Programm erhalten hatte. Eine weitere Station auf diesem Weg war die Reformation, die man spätestens seit Max Weber auch als Impulsgeber für die kapitalistische Entwicklung zu verstehen hat. Gerade dem frühneuzeitlichen (ca. 1450 – 1650) Rationalismus kommt nach Fuller eine große Bedeutung zu. Insbesondere dem Philosophen und Naturwissenschaftler René Descartes (1596 – 1650), der den Menschen als denkendes Wesen von seiner Leiblichkeit trennt. Die naturwissenschaftlichen Entwicklungen bis in unsere Tage hinein haben dem Menschen immer mehr Machbarkeit in die Hände gegeben. Und die Menschheit hat das auch immer ausgenutzt, aber offensichtlich nicht in echter Nachhaltigkeit beherrscht.
Heute stehen wir nach Fuller an einem Punkt, der keinen Weg zurück mehr offenhält. «Der aller Einsicht zum Trotz zu fordernde Super-Paradigmenwechsel widerspricht unserer geistig einfachen, pragmatischen, selbstsüchtigen, hochemotionalen Natur. Den Vollzug des Super-Paradigmenwechsels halte ich, wie gesagt, für unmöglich.» Daraus ergibt sich für Fuller die Einsicht, die er fast lapidar formuliert: «Wir müssen lernen, unser Ende zu akzeptieren.» Und damit meint er, wie er 2017 wiederholt: «Lernen wir, wie in der eigenen Todesstunde, nun in der phylogenetischen Endzeit loszulassen.»
Für diese Endzeit will er aber kein Jeder-gegen-jeden und ruft dazu auf, sich der positiven Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte bewußt zu sein und sich der großartigen kulturellen Leistungen zu erfreuen. «Mit Hilfe der Künste flattert man nicht länger ziellos im luftigsten Äther umher, kopflos getrieben von der berechtigten ökologischen Furcht. Man eröffnet sich stattdessen, wie es im zitierten Schubert-Lied heißt, eine bessere Welt.» In dieser Haltung, die es dem Menschen möglich macht, in Selbstachtung zu leben und andern zu begegnen, steckt Fullers heitere Hoffnungslosigkeit.
Nachtrag
Weil ich einigen Freunden und Bekannten – durchaus wegen unterschiedlicher Blickrichtungen – den Fuller'schen Essay empfehlen wollte, suchte ich im Internet nach antiquarischen Exemplaren. Dabei stieß ich auf eine überarbeitete und erweiterte Auflage, die 2017 im Felix Meiner Verlag Hamburg erschienen ist. In dieser zweiten Auflage wird der ursprüngliche Text unverändert wiedergegeben, aber von Gregory Fuller mit zwei Abschnitten ergänzt. In einem vierten Abschnitt gestaltet er die heitere Hoffnungslosigkeit doch deutlich heiterer als in der Ausgabe von 1993. Zudem überprüft er in einem Schlußkapitel seine Faktendarstellung aus der ersten Ausgabe. Er kommt nur in wenigen Aspekten zu einem positiveren Befund und fügt vor allem noch viele Entwicklungen zum Schlechteren hinzu, die sich in den 25 Jahren dazwischen eingestellt haben.
© Rudolf Mohler – 27. April 2019